Technischer Fortschritt löst keine menschlichen Probleme! #
Nicht wenige suchen das Heil in technischer Intelligenz. Eine solche könnte, so tönen derzeit besonders die AI-Apologeten, lernen, simulieren, prognostizieren und steuern; und zwar absehbar immer besser, im Gleichschritt mit dem technischen Fortschritt!
So ein philosophisch gänzlich ignoranter Quatsch!
Ich muss zur Erklärung etwas ausholen:
Das mag sein mit dem Lernen und Steuern. Aber keine sogenannte1 künstliche Intelligenz kann ein Sollen wollen. Keine hat Gefühle, aus denen ein Wille entspringen könnte. Da ist ein normatives Vakuum.
Selbst wenn AGI/ASI (AGI = Artificial General Intelligence; ASI = Artificial Superintelligence) einmal technisch zu verwirklichen wäre, bliebe dieses Vakuum bestehen. Umso bedrohlicher würde ihr Einsatz im Entscheidungsfall! Wer könnte noch beurteilen, ob sie richtig oder falsch läge, wenn sie per Definition die menschliche Intelligenz überstiege?
Ergebnis wäre nicht Befreiung, sondern umgekehrt: totale Unfreiheit durch radikale Zentralisierung von Steuerung, und das auch noch durch eine elektronische Maschine. Verantwortungsethisch zugespitzt: Eine AI könnte beinahe unbegrenzt Gründe berechnen oder entlang dem „Eignungskriterium“ Ziele verfolgen, aber keine Pflichten bejahen. Sie hätte kein Gewissen und würde Amoral potenzieren.
Humanes Handeln in bloßes Datenmanagement zu verwandeln, vertiefte nicht nur die Ungleichheit, sondern machte sie endgültig unüberwindbar. Denn man delegierte praktisch die Herrschaft, wenn man das zu Ende denkt, an eine Superintelligenz. Selbst ihre vermeintlichen Hauptnutznießer, die Reichen, hätten das Nachsehen.
Da mögen manche AI-Ethiker zwecks Einhegung noch soviel über „value alignment“, „preference learning“, „constitutional AI“ und dergleichen diskutieren. Was am Ende entstünde, wäre eine algorithmisch gerasterte Simulation menschlichen Wollens. Also gar nichts von Belang. Überließe man sich Maschinen, gäbe es keine auf Freiheit gegründete Normativität mehr. Man bekäme eine Ethik ohne Körper, ohne Emotionen und ohne Empathie. Also kurz: ein Unding.
Zugleich verstärkt KI, schon im Hier und Jetzt, gerade wegen ihres normativen Vakuums, bestehende Ungleichheiten. Die Konzentration von Datenmacht, skalierbare Automatisierung und die Möglichkeit, Renten algorithmisch abzuschöpfen, begünstigen jene Akteure, die bereits über Kapital, Infrastruktur und Zugriffsmöglichkeiten verfügen.
KI wird damit – ohne klare, einhegende Vorgaben zu ihrer Nutzung – nicht zum Ausgleich, sondern zum Beschleuniger struktureller Asymmetrien. Sie vergrößert in dynamischen Märkten die Kluft zwischen den oberen und unteren Gruppen.
Sowohl paralysierte Ohnmacht als auch technisierte Steuerungsallmacht führten – bei fehlender demokratischer Kontrolle und ohne normative Verankerung – geradewegs in einen Totalitarismus der Mittel ohne Zwecke; sprich: in Ent–menschlichung2
Die Träume der Techno‑Elite von der allgemeinen Superintelligenz sind daher so philosophisch uninformiert wie sie menschlich ahnungslos daherkommen; sie hätten das Zeug, würden sie Eins–zu–Eins umgesetzt, den endgültigen Schlusspunkt unter jede bürgerliche Zivilisation zu setzen. Sie sind schlicht aberwitzig.
Meine Empfehlung: Nachsitzen! Und mal ernsthafter nachdenken. Am besten mit Büchern, ganz gleich ob analog oder digital gelesen. Eine Menge guter Gedanken statt immer nur Geld wäre darin zu finden.
-
Ich würde lieber von applied statistics reden wollen. Mehr ist es – zur Zeit jedenfalls noch – nicht. Heutige KI nutzt im Kern datengetriebene, statistische Verfahren, um Wahrscheinlichkeiten zu schätzen, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. ↩︎
-
Safiya Umoja Noble, Algorithms of Oppression, New York: NYU Press, 2018. ↩︎