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„Kleine U-Boote”

·699 Wörter·4 min
Inhaltsverzeichnis

Den Text auf den ich antworte, habe ich unten angehängt.

Sehr geehrte/r Verfasser*in des Textes „Kleine U-Boote“!
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Der Text – offenbar in missionarischer Absicht geschrieben und mir in den Einkaufskorb geschoben – den ich in Ihrer Broschüre mit anderen Erbaulichkeiten fand, hat mich beschäftigt. Nicht, weil der Inhalt neu wäre. Sondern weil er –bei allem Respekt! – etwas Falsches wiederholt: den Versuch, biologische Phänomene als Beweise für einen Schöpfer zu deuten. Rote Blutkörperchen werden darin zu „genial konstruierten“ U-Booten, und Sie erklären diese und ihre Fähigkeiten – „Jetzt mal Klartext“, schreiben Sie markig – zum Werk Gottes. Eine andere Erklärung könne es nicht geben.

Ich möchte Ihnen widersprechen.

Denn es geht hier nicht nur um Biologie und darum, was Sie oder ich glauben. Es geht um nichts Geringeres als um unsere gemeinsame Wirklichkeit. Diese steht nämlich auf dem Spiel, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse mit religiösen Deutungen überlagert werden.

Rote Blutkörperchen sind nicht „konstruiert“.

Sie sind das Ergebnis von Millionen und Milliarden Jahren Evolution. Es begann mit einfachen Molekülen, von denen manche Sauerstoff binden konnten – noch zu wenig für höhere Lebensformen, aber ausreichend, um einen Vorteil zu schaffen. Solche, die das besser konnten, hatten mehr Überlebenschancen; die das weniger ‘schafften’, verschwanden. So entwickelte sich über unzählige Zwischenschritte das Hämoglobin und die roten Blutkörperchen in unserem Blut: angepasst und effizient, doch nicht perfekt. Sondern eben ‘gut genug’. Und immer noch offen für weitere Entwicklungen in der Zukunft.

Auch das fetale Hämoglobin im Mutterleib, das Sie ansprechen, ist kein Sonderwunder, sondern das Ergebnis eines fein abgestimmten, evolutionär entstandenen Regulationsprozesses.

Wissenschaft kann solche Entwicklungen erklären – nicht vollständig, aber auf nachvollziehbare Weise. Letzteres ist entscheidend. Sie und ich, alle, die es wollen und vermögen, können es verstehen. Und danach wissen wir es.

Das ist das Wunderbare, das wir preisen sollten! Wir Menschen können etwas wissen. Und was wir wissen, müssen wir nicht mehr glauben.

Wissenschaft ist nicht unfehlbar! Wissenschaft ist vielmehr und durch und durch menschlich. Denn wir projizieren in sie unsere Schwächen, auch falschen Ehrgeiz; wir machen Fehler und wir sind verblendet.

Aber: Wissenschaften streben nach etwas, was wir für gewöhnlich umgehen oder gar fürchten: nämlich danach, eigene Behauptungen möglichst zu widerlegen. Und das vor allem schafft Fortschritt.

Was Sie in Ihrem Text über Hämoglobin schreiben, wissen Sie allein dadurch. Schon den Begriff gäbe es nicht ohne das wissenschaftliche Suchen und Forschen. Und wir erweitern das Feld des Wissens, indem wir bestehende Grenzen überschreiten - analog zur Evolution, die immerzu Neues ‘erkundet’.

Wissenschaft ist das einzig bewährte Verfahren, das wir kennen, um verlässlich Wahrheit von Irrtum zu unterscheiden: Beobachtung, Hypothese, Prüfung, Falsifikation. Wer das aufgibt, weil es nicht ins eigene Weltbild passt, der ersetzt mühsam errungenes, überprüfbares Wissen durch bloß persönliche Annahmen. Und das hat erhebliche Konsequenzen!

Wer Wissen durch Glauben ersetzt, macht Wahrheit beliebig. Denn jeder kann etwas für sich glauben. Wissen dagegen gilt für alle – oder gar nicht. Wer Wissenschaft aus Glaubensgründen ablehnt oder für Zwecke missbraucht, reißt die Mauer zwischen Wissen und Meinung ein. Und damit zwischen Wahrheit und Lüge.

Wissen und Wahrheit sind also keine private Glaubensangelegenheit. Im Gegenteil: Sie beruhen darauf, dass sie – öffentlich, begründet, kritisierbar – geteilt werden. Sie sind öffentliches Gut per se!

Ich erinnere an den Kapitän Robert FitzRoy. Ein tiefgläubiger Mann, der Charles Darwin von 1831 bis 1836 auf seiner Reise mit der HMS Beagle begleitete – und am Ende verzweifelte, weil er erkannte, dass Darwins Beobachtungen und Hypothesen die Bibel infrage stellten. Seine Welt geriet ins Wanken. Das war tragisch. Aber verständlich. Denn für ihn war es umstürzend.

Heute aber haben wir fast 200 Jahre wissenschaftlichen Forschens hinter uns. Genug Zeit, um zu verstehen, dass die Welt nicht erklärt werden muss, um schön zu sein. Dass sie nicht geplant sein muss, um uns zutiefst zu beeindrucken in ihrer Vielfalt. Aber auch, dass Evolution keine Beleidigung des Glaubens ist – sondern eine Riesenentdeckung und fortzusetzende Einladung zum Staunen und zur Neugier.

Ich möchte nicht missionieren. Nur erinnern: Wissenschaft ist das Beste, was wir Menschen hervorgebracht haben, um uns auf eine gemeinsame Wirklichkeit zu verständigen. Sie ist nicht unfehlbar – aber Selbstkorrektur ist ihre Seele. Genau das unterscheidet sie von bloßer Meinung oder Ideologie.

Mit nachdenklichen Grüßen


Broschürentext „Kleine U-Boote“
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Kleine U-Boote S 1
Kleine U-Boote S 2