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Der Sklave auf dem Triumphwagen

·983 Wörter·5 min
Inhaltsverzeichnis

Antike
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Im alten Rom wurde ein Triumph, der Zug eines siegreichen Feldherrn durch die Stadt und den jubelnden Populus hin zum Kapitolstempel, pompös inszeniert - aber unter strengster Regie des Senats. Nur mit dessen Erlaubnis durfte ein designierter Imperator mit seinen Truppen die Stadtgrenze übertreten. Selbst der glorreichste Feldherr blieb so eingebunden in die alles überwölbende republikanische Ordnung.

An dem festgelegten Tag thronte der Triumphator, sein Gesicht traditionell mit orangeroter Menninge gefärbt wie die Statue des Jupiter, auf der Quadriga, einem Vierergespann, und rollte durch die Menge, die ihn bejubelte. Hinter ihm jedoch, so will es die Überlieferung, stand ein Sklave - oder ein Diener des Staates (servus publicus), die Quellenlage ist uneindeutig -, der einen goldenen Kranz über das Haupt des Erlauchten hielt und ihm angeblich zuflüsterte:

„Respice post te, hominem te esse memento.“

Schau hinter dich, gedenke, dass du ein Mensch bist.

Ob diese Worte je so gesprochen wurden, ist historisch nicht gesichert. Die Hauptquelle dafür stammt erst aus der Kaiserzeit, Jahrhunderte nach den großen Triumphen der Republik. Und selbst wenn – in dem Getöse der Menge, den Jubelrufen und Spottliedern seiner Soldaten, wären die geflüsterten Worte wohl kaum zu hören gewesen, vom Winde und von dem Lärm der feiernden Massen verweht …

Doch das mindert nicht die Kraft des Bildes. Im Gegenteil: Auch wenn es nur ausgedacht wurde, vermittelt es eine tiefe Wahrheit römischer Staatskunst. Selbst im Moment des größten Triumphs war noch der mächtigste Feldherr – ein Diener der Republik. Das vor allem.

Genau das spiegelt das Ritual wider, bis schließlich, am Ende des Tages, der Triumphator seine Herrschaftsinsignien abzulegen hatte. Sein militärisches Imperium fiel an die Republik zurück, und er wurde wieder zum Privatmann.

Aber ganz gleich, ob erfunden oder wahr: Diese Szene wirkt nun schon über die Jahrhunderte. Wieso?

Als Allegorie ist sie von beunruhigender Klarheit. Die Botschaft ebenso: Verfalle nicht der Hybris, Imperator! Schade nicht unserer Republik!

Mit hohem Mut als solchem hatte man in Rom kein Problem. Wenn ein Mann nach Großem strebte – warum nicht? Wenn daraus Siege erwuchsen – wunderbar!

Deshalb implizierte dieses Memento te hominem esse nicht: „Steig ab vom Wagen und füge dich!“ Sondern eher: „Bleibe auf dem Wagen, solange du es vermagst (wir können es ohnehin nicht ändern). Aber übertreibe es nicht mit der Macht!“

Für eine auf Expansion angelegte Politik, wie die römische, kommt darin eine bemerkenswerte, zweifellos aus Erfahrung gewonnene Einsicht zum Ausdruck. Wer viel gewinnt, kann noch mehr verlieren. Der Triumphator durfte sich feiern lassen; warum ihn daran hindern? Aber er sollte dies stets eingedenk des Wissens tun, dass jeder Lorbeer am Ende verwelkt, und jedes Übermaß ins Unglück stürzt.

Der Senat, die ganze noble Klasse, dachte nicht zuletzt an sich selbst. Man wusste in diesen Kreisen weit mehr als anderswo um den fatalen Hang zu Exzessen.

Das Memento wurde vielleicht einem Sklaven in den Mund gelegt. Aber es entstammte den inneren Zirkeln der Macht. Sie vor allem hatten enorm viel zu verlieren. „Übertreibe es nicht mit der Macht, sieh dich vor!“, mahnten sie ihren Standesgenossen. „Wir sind auch noch da. Gefährde unser aller Privilegien nicht. Bringe uns – und dich! – nicht um die Pfründe, die wir verzehren.“

Und um dem letzten Nachdruck zu verleihen: Das obligatorische Opfer im kapitolinischen Tempel, am Ende des triumphalen Tages; denn jeder Sieg gehörte Jupiter. Die Götter selbst bürgen für die Erhaltung der Ordnung! Sie erlauben keine Hybris und strafen den, der ihr verfällt.

Neuzeit
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Man könnte versucht sein, diesen Brauch als Frühform der modernen Checks-and-Balances zu lesen. Doch das wäre ein Irrtum.

Die historische Erfahrung war den amerikanischen Gründungsvätern, selbst größtenteils Männer von Besitz und Bildung, gleichwohl vertraut. Sie erkannten die zeitlose Gefahr der Machtkonzentration.

Mit wahrer staatsmännischer Umsicht rangen sie um die Austarierung von Machtverhältnissen für den zu gründenden Staat. Die checks and balances, auf dem Fundament der Montesquieuschen Gewaltenteilung und römischer Staatskunst errichtet, in einer Verfassung verankert, waren das Ergebnis. Nun wurde endlich gesetzlich fixiert, was zuvor – wie beim Triumphator – den Mächtigen allenfalls noch zugeraunt worden war.

Der Verfassung und ihren Gesetzen war ein beispielloser Erfolg beschieden.

Sie wurden respektiert, sie wurden der Welt zum Vorbild und zum Quell des amerikanischen Wohlstands – und schienen für die Ewigkeit gemacht.

So dachte man, bis heute.

Jetzt
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Doch was, wenn jener an der Spitze sich nicht mehr an Verfassung und Institutionen gebunden fühlt – ja, sogar bereit scheint, sie zu zerstören?

Selbst Nietzsche, großer Kritiker überkommener Ordnungen, sah im Übermenschen keine blinde Zerstörungskraft. Vielmehr verkörpert der Übermensch die schöpferische Überwindung – die Kunst, das Überkommene in Neues zu verwandeln, nicht bloß niederzureißen. Er tanzt am Abgrund, doch tut er dies mit disziplinierter Anmut – Ausdruck wahrer Freiheit.

Welch Unterschied zu dem Mächtigen, der heute, anscheinend zügellos, auf der amerikanischen Quadriga seine Allmachtsphantasien öffentlich zelebriert, mit gen Himmel gereckter Nase. Niemand flüstert ihm etwas zu. Verfassung, Gesetze stellt er in Frage, und polternd attackiert er die Hüter ebendieser Ordnung: die Richter.

Diese Figur schwadroniert, twittert, hetzt, was das Zeug hält. Und statt des Lorbeers trägt sie, orangefarben geschminkt wie einst, eine leuchtende Fönfrisur, zusammengehalten von selbstverliebter Eitelkeit, Trotz und Rache. Kein Gott, nirgends.

Wem neigt sie das Haupt?

Wehe dem Volk, das nicht mehr flüstern darf – und wehe den Noblen, die nurmehr zusehen können.

Oder ist es gar nicht, wie es scheint?

Wie im alten Rom?


PS: Die Überlieferung des “Memento te hominem esse” stammt hauptsächlich von Tertullian (ca. 160-220 n. Chr.), einem christlichen Autor und römischen Bürger aus Karthago, in seinem “Apologeticum” (33.4). Der Brauch wird speziell für die Triumphzüge der römischen Republik nach den Punischen Kriegen (264-146 v. Chr.) beschrieben, obwohl die Hauptquelle aus der Kaiserzeit stammt. Historiker sind uneins, ob dies eine regelmäßige Praxis oder eher eine literarische Konstruktion mit moralischer Funktion war. Möglicherweise wurde die Rolle nicht von einem Sklaven, sondern einem öffentlichen Bediensteten (servus publicus) ausgeführt. Die Überlieferung entspricht dem römischen Konzept der Nemesis als göttliche Korrektur menschlicher Hybris.